aspekte

Kitsch! Warum wir ihn hassen – und lieben

aspekte
ZDF
Fr, 08.11.2024 | 23:30 - 00:15

Kultur (D 2024)

In düsteren Zeiten hat auch das Süßliche und Niedliche Hochkonjunktur. Warum sind wir so fasziniert vom Kitsch? Ist er verlogen? Wohltuend? Oder beides? "Kitsch" – das ist angeblich das Gegenteil von "echter", "wahrer" und "großer" Kunst. Aber wo verläuft die Grenze? Wer zieht sie überhaupt und warum? Steckt in der Abwertung des Kitsches nicht auch ein Stück Elitedenken und Snobismus? Katty Salié besucht in dieser Ausgabe von "aspekte" eine Stadt, die in allen Rankings zu den romantischsten Städten Deutschlands gezählt wird: München. Mit standesgemäßem Gefährt – einer seidenblumengeschmückten Kutsche mit zwei Schimmeln – sammelt sie die Autorin und selbsternannte "Tussi" Jovana Reisinger auf, die gerade mit "Pleasure" ein Manifest für den Glamour, die Völlerei und den Kitsch veröffentlicht hat. Denn auch wenn Kitsch von vielen verachtet wird – von anderen wird er umso begeisterter umarmt. Kitsch ist die Domäne des Trivialen. Er überfordert und überrascht nicht. Er bietet in schweren Zeiten einen Fluchtort des harmlos Vertrauten. Stereotype Schemata sagen einem auf den ersten Blick, welche Emotion hervorgerufen werden soll: Abendrot am Strand? Romantisch! Große Kulleraugen? Süß! Aber Kitsch ist nicht nur harmlos. Autokraten lieben den Prunk und das Pompöse – und sind in ihrer propagandistischen Eindeutigkeit nicht weit vom Kitsch entfernt. Der amerikanische Politik- und Kulturwissenschaftler Justin Patch sieht auch in Donald Trump eine kitschlastige Persönlichkeit – und erforscht die Tiefen des Trump-Kitsches. Hat der oberflächlich harmlose Kitsch auch eine dunkle, eine böse Seite? Wie steht es zum Beispiel mit der Kunst, die im Nationalsozialismus propagiert wurde – war das Kitsch? Katty Salié fährt vor dem "Haus der Kunst" vor, dem Nazibau, der von den Münchnern "Palazzo Kitschi" getauft wurde. Im Keller finden sich noch einige NS-Gemälde. Die Archiv-Chefin Sabine Brantl erläutert, ab wann für sie Kunstwerke zu Kitsch werden: Wenn sie verlogen eine Scheinwelt als Realität verkaufen. Das trifft auf viele Kunstwerke der NS-Zeit zu – aber auch auf alle? Die Nachkriegszeit war dann die Hochzeit des Kitsches. Der Heimatfilm boomte, eine bunte Bergpanoramatapete, die das verschwiegene Grauen überklebte. Bis heute stehen Alpenfilme daher unter Kitschverdacht. Und Alpenserien wie die ZDF-Serie "Der Bergdoktor" auch. Bergdoktor-Darsteller Hans Sigl erklärt in "aspekte", wie er gegen das Heile-Welt-Klischee des Heimatfilms anarbeitet. Kunst wird zum Kitsch, wenn sie eindeutig wird. Aber gerade deshalb wird Kitsch oft zitiert und ironisiert – und damit wieder in Kunst verwandelt, wie zum Beispiel bei Jeff Koons. In den Bildern des Berliner Malers Martin Eder lauert hinter den kitschigen Motiven – süßen Kätzchen, Regenbögen, jungen Damen in Lolita-Pose – ein unausgesprochenes Grauen. Und auch die schottische Medienkünstlerin Rachel Maclean lässt unter der zuckrigen Oberfläche einen Abgrund ahnen. Auf diese Weise machen sie kitschige Motive wieder mehrdeutig und schwer greifbar – und damit zu großer Kunst.

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